Genderneutral schreiben – 4 Strategien + Beispiele für gendergerechte Texte
Gendersternchen, Doppelpunkte, Lücken oder doch lieber Doppelnennung? Während sich die einen beschweren, fühlen sich die anderen endlich anerkannt. So viel steht fest: Gendern ist kein Schwarz-weiß-Thema, das sich mit dem einen flotten Tipp lösen lässt. Ob wir genderneutral bzw. gendergerecht schreiben, ist es eine Frage der Haltung und vor allem: der Zielsetzung.
Genderneutral schreiben – muss das wirklich sein?
Die Ärzte besuchen den Patienten am Krankenbett.
Der Professor gibt den Studenten ihre Hausarbeiten zurück.
Die Schornsteinfeger stehen hintereinander auf der Leiter.
Hand aufs Herz: Welche Bilder malen Dir diese Worte in den Kopf? In meinen Vorträgen und Seminaren bekomme ich auf diese Frage eine klare Antwort: Die meisten Menschen sehen besonders beim letzten Satz 3 männliche Protagonisten vor ihrem inneren Auge.
Das ist für mich das entscheidende Argument, das Genderthema nicht einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Denn als Trainer für modernes Werbetexten (Copywriting) predige ich immer wieder: Schreib‘ bildhaft und bring‘ großes Kino in kleine (überlastete) Köpfe.
Unser Unterbewusstsein denkt in Bildern – und je nachdem, welche Bilder Du mit Deiner Sprache malst, erzielst Du andere Ergebnisse.
Sprache gestaltet Wirklichkeit und
kann die gelebte Realität verzerren.
Deswegen ist mir so wichtig, dass sich die Zielgruppe in meinen Bildern wiederfindet. Haben meine Worte hingegen eine ausgrenzende Wirkung, wird es schwierig, eine tiefe Beziehung zu anderen Menschen aufzubauen.
Das Gefühl, nicht dazuzugehören, ist eine Angst, die tief in jedem von uns verwurzelt ist. Da ich keine Frau bin, kann ich mir dieses Erleben nur bedingt vorstellen. Doch als schwulem Mann begegnen mir täglich Formulierungen, die mir zeigen: Ich bin in dieser Gedankenwelt offenbar nicht vorgesehen. Das tut weh, grenzt aus und kann manche Menschen sogar erniedrigen.
Wie wir etwas formulieren, hat enormen Einfluss darauf, welche Botschaft ankommt. Überlassen wir die Wahl unserer Worte und Bilder also nicht dem Zufall.
Gendergerechte Sprache um jeden Preis? Nein!
Wie ich in meiner Sprache gendere, ist zuerst natürliche eine Frage der Zielgruppe. Wenn ich nur für Frauen schreibe, ergibt sich das von selbst. Gleich hinter der Frage nach dem Zielpublikum kommt die Frage nach der Zielsetzung: Welches Ziel verfolgt der Text? Und das ist eine extrem unterschätzte Frage!
Vielleicht geht es Dir bei Deinem Text ähnlich wie bei mir in der Werbesprache: Wir wollen nicht nur gendergerecht schreiben, sondern mit unseren Worten auch Ziele erreichen. Zum Beispiel Produkte und Dienstleistungen verkaufen, eine Marke stärken oder Menschen informieren und unterhalten. In meinem Alltag stehen deshalb zwei Anforderungen ganz oben, die beim Thema Gendern miteinander ringen:
1. Die Sprache soll Haltung und Werte ausdrücken
Fortschrittlichkeit, Gleichberechtigung, Vielfalt und Feingefühl – all das sind Werte, die auf mich und meine Marke abfärben, wenn ich die Bedeutung des Genderns anerkenne und dem Thema in meiner Sprache Raum gebe. Die perfekte Chance also, mich als moderne Marke zu positionieren und von altbackenen Rollenbildern zu distanzieren. Ist das der Freifahrtschein für jede Menge Gendersternchen und Doppelnennungen? Nein.
2. Die Form sollte niemals von der Botschaft ablenken
Wer verwirrt, verliert – das ist Gesetz im Marketing. Sorge daher für Klarheit. Lücken, Doppelpunkte und Sternchen stören das Textbild, können die Aufmerksamkeit vom Inhalt auf die Form lenken und damit die Lesbarkeit des Textes beeinträchtigen.
Genau das habe ich vor wenigen Minuten noch erlebt.
Ich las einen Beitrag bei LinkedIn und sofort sprangen mich von überall Gendersternchen und Mehrfachnennungen an. „Wow, hier hat sich jemand ganz schön viele Gedanken ums Gendern gemacht“, dachte ich. Richtig sorgfältig und gut gemacht, mit einem Haken: Ich hatte nach dem Lesen keine Ahnung mehr, worum es überhaupt ging. Die erste Hälfte des Textes war mir aus dem Hirn gefallen, weil die wirre bunte Form viel von meiner mentalen Bandbreite für sich beanspruchte. Ich habe mehr aufs Gendern geachtet als auf den Inhalt.
Fürs Marketing ist das ein Horrorszenario!
Wenn die Menschen nur noch auf das Gendern achten,
können Botschaft und Wirkung Deiner Texte darunter leiden.
Kennst Du dieses Dilemma aus Deinem Alltag? Dir sind beide Zielsetzungen wichtig: Auf der einen Seite willst Du so gendergerecht wie möglich schreiben, doch auf der anderen Seite soll auch die Form schlank, klar und einfach bleiben.
Um dieses Ziel zu erreichen, habe ich in meinem Textalltag verschiedene Strategien entwickelt, um beides miteinander zu verheiraten.
Genderneutral schreiben – die gähnigen Varianten
Strikte Vorschriften gibt es beim Gendern (zum Glück!) nicht. Du kannst also wählen, welcher Weg für Dich am besten passt, um vielfältige persönliche Identitäten mit Deiner Sprache anzuerkennen und abzubilden.
Bevor wir uns die kreativen Wege anschauen, hier ein Überblick der gängigen (= schnarchigen) Gendermöglichkeiten:
1. Einsatz von Genderzeichen
- Binnen-I: KundInnen, PatientInnen, DarstellerInnen
- Schrägstrich: Kund/innen, Patient/innen, Darsteller/innen
- Doppelpunkt: Kund:innen, Patient:innen, Darsteller:innen
- Sternchen: Kund*innen, Patient*innen, Darsteller*innen
- Gap (Lücke): Kund_innen, Patient_innen, Darsteller_innen
- Zusatz von „m, w, d“
Diese Variante gibt ganz schön viel ZeichenZirkus im Text. Wo ist Waldo? Der Text mit all seinen Auszeichnungen fühlt sich wie ein Wimmelbild für meine Innenwelt an – ganz schön schwierig, mich auf die Kernbotschaft des Textes einzulassen. Daher greife ich nur im äußersten Notfall auf Genderzeichen zurück. Mein Favorit ist dann der Doppeltpunkt, weil er im Textbild am wenigsten auffällt.
2. Pluralformen im Partizip
Mitarbeitende, Studierende, Auszubildende … Ja, das klingt sehr unnatürlich und distanziert. In einer Behörde gehörst Du damit wahrscheinlich zu den Schreibenden des Monats. Gleichzeitig könntest Du Deine Texte als Einschlafhilfen für gestresste Manager verkaufen.
Ganz verteufeln will ich diese Variante nicht, denn ich nutze sie selbst – mit ein bisschen Würze!
Statt zu schreiben: „Mein Copywriting-Kurs richtet sich an Mitarbeitende aus dem Marketing“ schreibe ich lieber „Marketingbegeisterte“. Ist genauso neutral, hat jedoch deutlich mehr Pfiff.
3. Doppelnennungen bzw. Nennung in Paarform
Mitarbeiterinnen & Mitarbeiter, Studenten & Studentinnen, Kundinnen & Kunden – auf Dauer ist das auch eine wirkungsvolle Schlaftablette. In manchen Fällen ist diese Variante jedoch die beste Wahl. Ich nutze sie also auch in Ausnahmefällen, in denen ich mit meinen kreativeren Wegen nicht weiterkomme.
Genderneutral schreiben – Kreativität statt ZeichenZirkus
Mit etwas Kreativität kannst Du beim Gendern auch eigene Wege gehen, um mit Deiner Sprache verschiedene Identitäten anzuerkennen. Hier meine 4 leckersten Strategien:
1. Lege den Fokus auf die Tätigkeit statt auf die Person
Die meisten Gender-Herausforderungen entstehen, weil wir in Kategorien denken und die Personenbezeichnung betonen. Die Lösung: Lege den Fokus weg von der Person hin auf die Tätigkeit. Dadurch entsteht pure Magie:
- Studenten: „alle, die studieren“ oder „wer studiert, weiß“
- Heutige Teilnehmer: „alle, die heute teilnehmen“ oder „wer heute mit dabei ist“
- Antragsteller: „wenn Sie einen Antrag stellen möchten“
- Marketingmitarbeiter: „alle, die Marketing lieben“ oder „wer im Marketing arbeitet“
- Führungskraft: „alle, die Menschen führen“ oder „Sie führen Menschen? Dann …“
Hast Du den Dreh raus? Das ist einer der besten Tipps überhaupt, denn damit hakst Du nicht nur das Gender-Thema ab, sondern Du steigerst auch das Aktivierungspotenzial Deiner Texte. Denn Verben machen Deinen Text wesentlich lebendiger und steigern damit das Kopfkinopotenzial.
Verschiebe den Fokus also weg davon, was die Menschen sind, hin zu dem, was die Menschen tun.
2. Setze auf genderneutrale Worte
Arbeite mit Worten, die von sich aus genderneutral sind und Dich damit gar nicht erst zum Spagat zwingen. Das kannst Du auch, indem Du eigene Wortkombinationen prägst.
- Ansprechperson statt Ansprechpartner:in
- Abteilungsleitung statt Abteilungsleiter:in
- Elternteil statt Vater oder Mutter
- Zielgruppe statt Kund:innen
- Textgenie / Textprofi / Texttalent statt Texter:in
- Copywriting-Legenden statt berühmte Copywriter:innen
Meine Empfehlung: Lege Dir eine Liste mit flexiblen Wortbestandteilen an, die von sich aus neutral sind (Profi, Talent, Genie, Star, (Menschen-)Magnet, Leseratte etc.). Geh mit offenen Augen durch Deinen Alltag und lass Dich überraschen, wie viele von diesen Worten es gibt.
Wenn Du Deine Favoriten einmal gefunden hast, kannst Du sie immer wieder in Deinen Texten einsetzen und zu Deinem Markenzeichen machen.
3. Verteile männliche und weibliche Formen im Text
Dieser Ansatz kann etwas kirre machen, doch ich habe ihn schon mehrfach in Projekten erfolgreich eingesetzt. Statt jede Personenbezeichnungen in beiden Varianten zu präsentieren, mischst Du männliche und weibliche Varianten kunterbunt miteinander. Das kann dann zum Beispiel so aussehen:
Diese Versicherung ist genau richtig für Ärztinnen, Landwirte, Architekten und Schornsteinfegerinnen.
Unsere Dienstleistung richtet sich an Kuratoren, Galeristinnen, Kunstschaffende und alle, die Fotografie lieben.
(Erkennst Du, wie im letzten Beispiel gleich 3 unterschiedliche Strategien in einem Satz zusammenkommen?)
Diese Variante, männliche und weibliche Formen im Text zu verteilen, ist mir sehr sympathisch. Sie ist unkompliziert ist und schafft dennoch ein Bewusstsein dafür, dass nicht nur Männlein durch die Welt rennen. Alle, die unseren Text lesen, haben bunte Bilder im Kopf, in denen sowohl männliche als auch weibliche Beispiele vorkommen.
Ich finde diese Strategie zum Beispiel optimal für ein Sachbuch. Wenn Du Menschen mit dieser Art von Sprache über hunderte Seiten führst und Deinem Stil treu bleibst, haben sie schnell den Dreh raus.
4. Sprich die Menschen direkt an, wo es nur geht
Hey Du, mit direkter Ansprache brauchst Du keine Kategorien mehr. Schluss mit gestelzter und distanzierter Sprache – sprich mich doch einfach direkt an und gib mir das Gefühl, dass es nur Dich und mich gibt. Zeig mir mit Deiner Sprache, dass Deine gesamte Aufmerksamkeit mir gilt und dass Du eine echte Verbindung zu mir schaffen willst.
Direkte Ansprache macht aus so einem Stock-im-Po-Text …
Antragsteller:innen für eine Wandladestation können sich auf unserer Website ein entsprechendes Antragsformular herunterladen.
… eine lebendige Einladung:
Haben Sie Interesse an einer Wandladestation? Dann laden Sie sich jetzt das Antragsformular auf unserer Website herunter.
Ahhhhh, sehr viel leckerer! 😋
Mit welcher der 4 Strategien experimentierst Du zuerst?
Damit Dich dieser Artikel entspannt in die Umsetzung bringt, lege ich Dir ans Herz, Dir jetzt den Tipp auszusuchen, der Dich am meisten angelacht hat, und damit einen Text Deiner Wahl zu überarbeiten. Hast Du den Dreh raus, kommst Du zu diesem Artikel zurück und holst Dir den nächsten Tipp ab.
Die Amerikaner sagen: Complexity kills Conversions. Komplexität sorgt an vielen Stellen dafür, dass wir niemals in die Umsetzung kommen. Also mach es Dir leicht: Setze eine Strategie nach der anderen um.
Macht Dir dieses Experimentieren mit Buchstaben Spaß? Dann ist mein Copywriting-Kurs vielleicht genau richtig für Dich. Hier erfährst Du auf leichte und unterhaltsame Weise, wie Du Deine Angebote in starken Worten präsentierst.
Schreib lecker!
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